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Ein schwacher Geist ist leichtgläubig. Je schwächer die Gedankenprozesse, desto absurder die Dinge, an die jemand glauben kann. Ein starker Geist wie meiner kann das zu seinem Vorteil nutzen.
Baron Wladimir Harkonnen,
Originalaufzeichnungen
Obwohl er unbewaffnet war, erwiderte der Baron den Blick des rotäugigen Hundes mit Verachtung. Das knurrende Tier kam ihm ein Stück entgegen, bleckte die scharfen Zähne und machte sich sprungbereit.
Zum Glück hatte der Baron das wilde Geschöpf schon vor einiger Zeit mit einer Giftpfeilpistole getötet, und diese ausgestopfte mechanische Version folgte nur einem eingegebenen Programm. Die Nachbildung erstarrte, als er ein bestimmtes Handzeichen machte. Ein amüsantes Spielzeug.
Der neunjährige Paolo spazierte im Trophäensaal umher und bewunderte die ausgestellten Tiere. Der Baron hatte den Jungen auf vielen Jagdzügen durch die unberührte Natur von Caladan mitgeschleift, damit er das Töten aus erster Hand miterlebte. Das war gut für seine Entwicklung und Erziehung.
Rabban war immer für solche Dinge zu haben gewesen, aber Paolo hatte anfangs gezögert, sich am Gemetzel zu beteiligen. Vielleicht war es irgendein genetischer Defekt. Doch allmählich räumte der Baron den Widerstand des Jungen aus dem Weg. Mit intensivem Training und einem System aus Belohnungen und Strafen (vor allem Letzteres) war es dem Baron gelungen, die angeborene Neigung zur Güte in diesem Ghola von Paul Atreides fast völlig auszumerzen.
Die Wettersatelliten hatten für den Rest der Woche Dauerregen und Wind angekündigt. Der Baron hatte sich auf eine neue Jagd gefreut, aber in der Kälte und Feuchtigkeit wäre ein solcher Ausflug kein Vergnügen gewesen. Er und Paolo waren in der Burg gefangen. Die beiden hatten eine bemerkenswerte Beziehung aufgebaut. Das Haus Atreides und das Haus Harkonnen – welche Ironie! Aber auch wenn Paolo ein Klon des Sohnes des verhassten Herzogs war, entwickelte er sich unter guter Aufsicht eher zu einem Harkonnen.
Schließlich ist er dein Enkel, nervte ihn die innere Stimme Alias.
Der Baron unterdrückte den Wunsch, sie anzuschreien, und beobachtete vier Arbeiter, die mit Suspensoren einen riesigen ausgestopften Mastofanten auf einen Sockel hievten. Dieses ebenfalls nahezu ausgestorbene wilde Tier war vergangenen Herbst auf einem Feld in ihre Richtung gestürmt und hatte mit den sägeförmigen Stoßzähnen angegriffen. Doch der Baron, Paolo und ein halbes Dutzend Leibwächter hatten das Feuer mit Lasguns, Scheibenklingen und Giftpfeilen eröffnet und dem Geschöpf Einhalt geboten. Es war eine wahrlich aufregende Jagd gewesen!
Paolo betrachtete die künstlich bewegten Tiere auf den Sockeln. »Wenn wir nicht draußen durch die Wildnis streifen können, wollen wir hier auf die Jagd gehen. Wir können so tun, als wären sie noch gar nicht tot. Dann müssen wir uns nicht sorgen, ob es uns zu kalt oder zu nass ist.«
Der Baron blickte durch ein Fenster auf den wolkenverhangenen Himmel und fragte sich, ob das Wetter der wahre Grund für Paolos Widerstreben war. »Schmerzen machen mir nichts aus, aber körperliches Unbehagen ist etwas ganz anderes.« Er schaute sich um und schätzte ein, wie viel Schaden angerichtet werden könnte. Dann grinste er. »Du hast absolut recht, mein Junge!« Es freute ihn, wenn er hörte, wie tief seine Stimme bereits geworden war.
Sie befahlen den Dienern, eine Auswahl an Lasguns, Pfeilpistolen, Schwertern und Messern zu bringen, mit denen sie ihr Ersatzabenteuer bestehen konnten. Als die mechanischen Systeme aktiviert wurden, verfielen die toten Tiere im ganzen Trophäensaal gleichzeitig in Raserei. Die beiden Jäger gingen in Deckung, steigerten in ihrer Phantasie die Gefahr und schossen die mechanischen Geschöpfe von den Sockeln. Sie zerhackten künstliche Knochen, Ausstopfmaterial und konserviertes Fell. Zuletzt animierten sie den riesigen Mastofanten und beobachteten, wie er durch die Trümmer stapfte. Schließlich nahmen sie ihn mit den Lasguns ins Kreuzfeuer und amputierten ihm die Beine. Die Bestie krachte zu Boden, während die automatischen Servos im Leerlauf rotierten.
Der Baron empfand die Gewaltorgie als außerordentlich befriedigend, und selbst Paolo schien sich dafür erwärmen zu können. Anschließend begutachteten die mutigen Jäger den Schaden und lachten, als sie in den Korridor hinausmarschierten. Der Baron sah drei Arbeiter, die den Eindruck erweckten, als würden sie sich wünschen, unsichtbar zu sein. »Geht hinein und räumt den Saustall auf!«
Du scheinst jedes Mal eine Menge Unordnung zu hinterlassen, nicht wahr, Großvater?
Der Baron presste die Hände gegen den Schädel. »Sei still, du Verfluchte!« Alia summte eine sich ständig wiederholende Melodie, mit der sie ihn zweifellos in den Wahnsinn treiben wollte. Als Paolo ihn verdutzt mit Fragen belästigte, stieß der Baron ihn von sich weg. »Lass mich in Ruhe! Du bist genauso schlimm wie deine Schwester!«
Verwirrt und beleidigt lief Paolo davon.
Die nervtötende Stimme des Mädchens hallte in seinem Kopf, bis er sie nicht mehr ertragen konnte. Er flüchtete aus der Burg. Er konnte kaum etwas sehen und stieß mit einer wuchtigen Harkonnen-Statue zusammen, bevor er auf den Weg zu den Klippen am Meer einbog. »Ich werde mich in den Abgrund stürzen – ich schwöre es dir, Abscheulichkeit –, wenn du mich nicht in Ruhe lässt!«
Erst als er die windige Felskante erreicht hatte, verstummte Alias Stimme endlich. Der Baron fiel auf die Knie und genoss das Gefühl des Schwindels, als er in die Tiefe blickte. Vielleicht sollte er es trotzdem tun und sich zu den feuchten schwarzen Felsen und den brodelnden Wellen hinabstürzen. Wenn die verdammten Gestaltwandler ihn so dringend brauchten, konnten sie einfach einen neuen Ghola züchten, der vielleicht nicht so fehlerhaft war. Baron Harkonnen würde zurückkehren!
Er spürte eine Hand auf der Schulter. Er raffte seinen letzten Rest von Würde zusammen und blickte auf. Ein Gestaltwandler mit Knollennase starrte ihn an. Obwohl sie in seinen Augen alle gleich aussahen, wusste er irgendwie, dass es Khrone war. »Was willst du?«
»Du wirst zusammen mit Paolo Caladan verlassen und nie mehr zurückkehren«, antwortete der Gestaltwandler. »Der große Krieg macht Fortschritte, und der Allgeist hat entschieden, dass er den Kwisatz Haderach in seiner Nähe braucht. Omnius will, dass du die Vorbereitung des Jungen unter seiner direkten Überwachung im Herzen des Maschinenimperiums fortsetzt. Du wirst nach Synchronia aufbrechen, sobald ein Schiff bereit ist.«
Der Blick des Barons ging am Gestaltwandler vorbei zu Paolo, der neben einer Harkonnen-Statue kauerte, nahe genug, um ihr Gespräch belauschen zu können. Er lachte leise in sich hinein, denn dieser Junge war genauso hartnäckig wie Piter de Vries! Sobald ihm bewusst wurde, dass man ihn bemerkt hatte, eilte Paolo herbei. »Redet er von mir?«
»Erkläre Paolo unterwegs, was ihm bevorsteht«, sagte Khrone zum Baron. »Erkläre es nicht nur, sorge dafür, dass der Junge daran glaubt.«
»Paolo neigt dazu, alles zu glauben, was seine Illusionen von Größe und Vornehmheit verstärkt«, sagte der Baron, ohne den Jungen anzusehen. »Also ist diese Kwisatz-Haderach-Sache ... real?«
Obwohl die Gestaltwandler ihm schließlich die Wahrheit gesagt hatten, kam ihm diese Vorstellung immer noch grotesk vor. Er war nicht davon überzeugt, dass dieser junge Ghola eine so bedeutende Rolle im großen Plan spielen konnte.
Khrone sah in seinem Grundzustand schauderhaft aus. Die Schatten um seine Augen wurden tiefer, als er sein Missvergnügen zum Ausdruck brachte. »Ich glaube daran, und Omnius ist davon überzeugt. Wie kannst du es in Frage stellen?«
Glaub es, lieber Großvater, sagte die ärgerliche Stimme. Allein durch seine Gene besitzt Paul Atreides das Potenzial, größer zu werden, als du es jemals sein wirst, ganz gleich, in welcher Inkarnation.
Der Baron verweigerte eine Antwort, weder laut ausgesprochen noch rein gedanklich. Wenn er die Abscheulichkeit ignorierte, brachte er sie damit häufig zum Verstummen.
Und nun würden sie nach Synchronia reisen, zur Heimatwelt von Omnius. Er freute sich darauf, das Imperium der Denkmaschinen zu Gesicht zu bekommen. Neue Herausforderungen, neue Gelegenheiten.
Trotz der Summe der Erinnerungen aus seinem ersten Leben waren die Geschichten über die bösen Denkmaschinen und Butlers Djihad viel zu fern, um von Bedeutung sein zu können. Obwohl er beträchtlichen Groll gegen die Gestaltwandler hegte, war er froh, auf der Seite der größeren Macht zu stehen.
Später, während des Shuttlefluges in den Orbit, blickte der Baron auf die Küste hinab, auf die Dörfer, die neuen Schornsteine und die Bergwerke von Caladan. Aufgeregt hetzte Paolo von einem Fenster zum anderen. »Wird die Reise lange dauern?«
»Ich bin kein Pilot. Woher soll ich das wissen? Die Denkmaschinen müssen sehr weit weg sein, sonst hätten die Menschen schon viel früher von ihrer Existenz erfahren.«
»Was wird passieren, wenn wir dort sind?«
»Frag einen Gestaltwandler.«
»Sie weigern sich, mit mir zu reden.«
»Dann frag Omnius, wenn du ihn siehst. In der Zwischenzeit solltest du dich amüsieren.«
Paolo setzte sich im Passagierabteil neben ihn und probierte die abgepackte sirupartige Bordnahrung. »Ich bin etwas Besonderes, weißt du. Sie haben mich gehegt und gepflegt und mich gründlich beobachtet. Was genau ist überhaupt ein Kwisatz Haderach?« Er wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab.
»Lass dich nicht von ihren seltsamen Vorstellungen in die Irre führen, Junge. So etwas wie einen Kwisatz Haderach gibt es nicht. Das ist nur ein Mythos, eine Legende, etwas, für das es hundert schwammige Erklärungen in ebenso vielen Prophezeiungen gibt. Das gesamte Zuchtprogramm der Bene Gesserit ist absoluter Blödsinn.« Aus seinen tiefsten Erinnerungen wusste er, dass er selbst Teil eines solchen Zuchtprogramms gewesen war, als die widerliche Hexe Mohiam ihn gezwungen hatte, sie zu schwängern. Er hatte sie während des Akts erniedrigt, aber als Rache hatte die Vettel ihm die lähmende Krankheit angehängt, durch die er zu einem aufgedunsenen Fettwanst geworden war.
»Es kann kein Blödsinn sein. Ich habe Visionen, vor allem, wenn ich Gewürztabletten nehme. Ich sehe immer wieder dieselben Bilder. Ich habe ein blutiges Messer in der Hand, und ich bin der Sieger. Ich sehe mich, wie ich mich auf meine Beute stürze – Melange. Aber es ist mehr als nur Melange. Außerdem sehe ich mich selbst am Boden liegen und verbluten. Welcher von beiden ist der Richtige? Es ist sehr verwirrend!«
»Halt die Klappe und mach ein Nickerchen.«
Sie dockten an ein unscheinbares Schiff an, das hoch über Caladan stand. Es war nicht mit den Markierungen der Gilde versehen, und es flog ohne Navigator. Das Tor zu einem großen Hangar öffnete sich, und das Shuttle wurde hineingezogen. Silbrig glänzende Gestalten bewegten sich über das kalte, luftlose Landefeld und dirigierten das kleine Schiff zu einem Andockplatz. Roboter – Dämonen aus der antiken Geschichte! Also schien es, dass zumindest ein Teil von Khrones abenteuerlichen Erzählungen wahr sein könnte.
Der Baron sah lächelnd den Jungen an, der aus den Fenstern starrte. »Wir beide haben uns soeben auf eine sehr interessante Reise begeben, Paolo.«